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kanone_festgeschuetz1k"In meiner Jugendzeit habe ich des öfteren meinen Vater auf geschäftlichen Gängen begleitet, die zuweilen auch nach Marienhagen führten, wo ich stets einen besonderen Zug zu der neben dem Gasthof "Zum Löwen" stehenden alten im Kriege 1870/71 erbeuteten französischen Kanone hatte. Damals, im ersten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts, war die Kanone noch vollständig mit Lafette usw. und wurde von mir sehr bewundert.
 
Es war in den Zeiten des Burenkrieges und des russisch-japanischen Krieges, und ich, schon damals ein eifriger Zeitungsleser, malte mir im Geiste aus, in den lebhaftesten Farben natürlich, wie diese Kanone von den deutschen Soldaten im deutsch-französischen Kriege erorbert worden war.
 
 
 
Natürlich war ich auch neugierig, wie nun diese Kanone nach Marienhagen gekommen ist. Der alte Dresbach, Gastwirt und Fleischbeschauer, Besitzer des Gasthofs "Zum Löwen" und Schwiegevater des jetzigen Löwenwirts Küper, hjat die Historie oft genug erzählt, in der sein Vater, also der Urgroßvater des auf der Kanone sitzenden kleinen Mannes, die Hauptrolle gespielt hat.
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Der alte Dresbach hatte den Gedanken, die kurz nach dem Kriege aufkommenden Sedansfeste, die auch im oberbergischen Land mit großer Begeisterung gefeiert wurden, statt mit Böllerschüssen mit richtigem Kanonendonner, und zwar aus einem erbeuteten französischen Geschütz, anzukündigen. Da er mit der Feder nicht so recht vertraut war, beauftragte er einen Obersekundaner, der mit seinem Sohne und Nachfolger befreundet war und des öfteren in Ferien in Marienhagen weilte, ein Immediatgesuch an Se. Majestät den Kaiser aufzusetzen. In diesem ließ er den Kaiser bitten, ihm eine erbeutete französische Kanone zu schenken, aus der am Sedantag geschossen werden solle. Das Gesuch wurde abgeschickt und nach einigen Wochen lief tatsächlich die Nachricht aus Berlin ein, dass ihm entsprochen worden sei.
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Das Artilleriedepot in Köln sei angewiesen, dem Petenten die gewünschte Kanone kostenlos zu verabfolgen. Der freudig erregte und ob seines Erfolges mit Recht stolze Löwenwirt sorgte schleunigst für ein starkes Gespann, das nach Köln geschickt wurde und die Kanone abholte und richtig in der Heimat ablieferte.
 
 
Sie erregte bei vielen Leuten, die noch nie eine Kanone gesehen hatten, große Bewunderung und brahte dem Löwenwirt manche Kundschaft zu. Ihren Zweck am Sedanstag richtiggehenden Kanonendonner rollen zu lassen, erfüllte sie vollauf. In jener Zeit hatte der Denklinger Kriegerverein, zu dem auch die ehemaligen Soldaten aus dem Kirchspiel Marienhagen gehörten, beschlossen, das Sedanfest reihum bei den einzelnen Gastwirten zu feiern, um so das Sedanfest auf der Höhe zu hatlen. In der Mitt der siebziger Jahre war nun die Reihe an Denklingen, da aber die Kanone anderthalb bis zwei Stunden entfernt stand und auf den schlechten Waldwegen wohl kaum nach Denklingen gebracht werden konnte, wollte man sich dort mit Böllerschüssen begnügen.
 
 
 
Als man aber am Vorabend des Festes damit beginnen wollte, waren die Böller verschwunden und sie sind bis jetzt noch nicht wiedergefunden worden. Es ist damals in den politisch sehr erregten Zeiten des Kulturkampfes vielleicht nicht mit Unrecht vermutet worden, dass sie ein erbitterte Ultramontaner auf die Seite geschafft hat.
 
 
Spät abends wurde dem Löwenwirt das Verschwinden der Böller bekannt. Sofort trommelte er einige handfeste junge Leute zusammen, requirierte einige kräftige Gäule, spannte sie vor die Kanone und zog nach Denklingen, wo nach einem beschwerlichen Marsch die Kanone unversehr ankam und schon in aller Frühe die Bewohner des Festortes mit ihrem Donner begrüßte und nicht wenig dazu beitrug, dass gerade dieses Sedanfest in besonderer Erinnerung blieb."
 
D.D.